Kunstfest Weimar/ EURO-STUDIO Landgraf
Endlose Aussicht
Schauspiel von Theresia Walser
Mit Judith Rosmair
Ausgezeichnet mit dem 2. INTHEGA-Preis 2022
für ihre Darstellung in Fräulein Julie
1 Mitwirkende
Regie: Judith Rosmair & Theresia Walser
Video: Theo Eshetu
Einzeltermine während der gesamten Spielzeit möglich
Spieldauer:
1 Stunden und 20 Minuten ♦ es gibt keine Pause
INHALT
Ferien auf dem Seuchenkreuzer
Es war ein Geschenk ihrer Geschwister, zehn Tage Kreuzfahrt durch die Karibik. Jona sollte einmal so richtig ausspannen, sich von der Pflege des kranken Vaters und dem Job in der Heimat erholen. Eigentlich ist die Reise längst vorbei, aber sie ist immer noch auf dem Schiff. Eine Seuche ist ausgebrochen, nirgends dürfen sie anlegen, und so treiben sie ohne Ziel auf dem Meer. Seit wie vielen Tagen genau, ob es Morgen ist oder Abend, was macht das schon für einen Unterschied, die Zukunft ist ungewiss. Immerhin hat sie eine Einzelkabine mit Fernsehempfang und darf 30 Minuten am Tag an die frische Luft aufs Deck. Mit ihrem Smartphone versendet Jona Nachrichten, Lebenszeichen, Berichte vom Seuchenkreutzer. Ihr Monolog kennt viele Stimmen: Sie redet nicht nur mit sich, sie redet mit allen, die nicht mehr um sie sind. Längst ist sie Teil einer Kreuzfahrtgesellschaft, die sich an die monströse Normalität gewöhnt hat. Zum Glück ist auch das Glück eine Erfindung!
PRESSESTIMMEN
Starkes Statement zur Pandemie
In hundert kurzweiligen Minuten gelingt es der wunderbar wandelbaren Bühnenkünstlerin, ihre innersten Empfindungen nach außen zu kehren, sich zugleich aber allzu heftiger Sentimentalitäten zu erwehren.
LANDAU Brigitte Schmalenberg, Die Rheinpfalz, 26.11.2022
Theresia Walsers „Endlose Aussicht“ offenbart mit einer großartigen Darstellerin beklemmende Aktualität
Dann plötzlich diese rätselhafte Seuche, Menschen starben, das ganze Schiff unter Quarantäne. Und jetzt sitzt Jona (alias die großartige Judith Rosmair) in Endlosschleife mit Frühstücksei und Weißwein in ihrer fensterlosen Einzel-Innenkabine fest. (…) Zwei kongenial miteinander verbandelte Künstlerinnen – Theresia Walser und Judith Rosmair – haben in einem Ein-Personen-Stück nahezu sämtliche Lebens-Katastrophen gebündelt. (…) Bar jeglicher Requisiten – aber grandios untermalt von raumgreifenden Videos des renommierten Installationskünstlers Theo Eshetu.
OBERSTDORF Rosemarie Schwesinger, Allgäuer Zeitung, 16.02.2022
Was die Besucher fesselt, ist die Angst, die jeder mit sich herumträgt, aber verdrängt. (…) „Endlose Aussicht“ ist mehr als ein Corona-Stück, auch wenn es während des ersten Lockdowns in Rosmairs Wohnzimmer entstand und unter Pandemiebedingungen in einem Autokino uraufgeführt wurde. Der Stillstand ermöglicht Nahaufnahmen von uns selbst. In der Isolation kommen wir uns nah.
GÜTERSLOH (wh), Die Glocke, 13.09.2021
Viel Applaus und Bravorufe
Theresia Walser Sprache fängt überaus präzise und anschaulich Jonas Gedanken ein: Und Judith Rosmair äußert sie mit unglaublicher Aussagekraft. (…) Die Schauspielerin eröffnet mit ihrer variationsfähigen Stimme und mit der bildhaften Körpersprache den Blick in ihr unentrinnbares Gefängnis und zugleich in ihr Inneres, das so viel Aufschluss gibt über dieses Leben, in dem das Gewohnte, das „Normale“, allmählich entgleitet.
VILLINGEN-SCHWENNINGEN garai, Südwest-Presse, 16.07.2021
Eine unverbesserlich nonchalante Optimistin, die ihre Alltagsreflexionen in Bademantel und Kopfhandtuch pointiert in Szene zu setzen weiß: maximaler Ausdruck mit minimalen Mitteln ohne Requisiten und doppelten Boden. Egal, ob der eigene Jobverlust, die Beinamputation ihres Vaters, ihre Rolle als unstetes schwarzes Schaf in der Familie oder die Marotten der Schiffsbewohner, die Unklarheit der Situation, die ersten Fälle von häuslicher Gewalt oder von Schiffsverschwörungen, nichts kann sie äußerlich erschüttern, und schon bald hat Rosmair das Publikum fest in der Hand.
Torben Ibs, in: Theater heute 10/2020, S. 19.
In diesem Sinne bewegt sich Rosmair stets auf des Textes Höhe. Leicht hysterisch, fast schon panisch, immer unruhig bei „so viel Ruhe“, macht sie ein großes Vergnügen daraus.
WEIMAR Michael Helbing, Thüringer Allgemeine, 06.09.2020
BIOGRAFIEN
Judith Rosmair
Ausgezeichnet als Schauspielerin des Jahres 2007 in der Kritiker*innenumfrage der Fachzeitschrift Theater heute.
Rosmair studierte Tanz in NYC und Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Es folgten Engagements am Schauspielhaus Bochum, am Thalia Theater Hamburg und an der Schaubühne Berlin, seit 2012 arbeitet Rosmair frei. Sie war Protagonistin in Arbeiten von zahlreichen namhaften Regisseur*innen, wie Wajdi Mouawad, Falk Richter, Thomas Ostermeier, Dimiter Gotscheff, Nicolas Stemann, Martin Kušej, Wilfried Minks, Helene Hegemann, Gesine Dankwart, Anouk van Dijk, Jürgen Kruse, Frank Castorf, Jürgen Gosch und Werner Schroeter. Sie arbeitet in den Bereichen Theater, Film, TV, Hörspiel und Oper, wie 2019 als Emmeline in KING ARTHUR in der Inszenierung von Torsten Fischer am Gärtnerplatz München. Seit 2017 spielt sie in „Tous des Oiseaux“ von Wajdi Mouawad am Theatre National Colline in Paris und auf internationalen Festivals. Rosmair war von Juni bis Ende August 2018 Stipendiatin des Goethe Instituts, der Kulturakademie Tarabya in Istanbul. Dort entwickelte sie mit dem DOCUMENTA14-Videokünstler Theo Eshetu den Videofilm „Europa“. Sie schreibt und produziert eigene Performances, wie ihr bei Presse und Publikum gefeiertes Theaterstück „Curtain Call!“ mit dem Posaunisten Uwe Dierksen vom Ensemble Modern. Beim Kunstfest Weimar 2020 inszenierte und spielte sie die Uraufführung „Endlose Aussicht“ von Theresia Walser, eine weitere Zusammenarbeit mit Eshetu, der auch an Rosmairs Virtual-Reality-Theater-Projekt „Bye Bye Bühne“ beteiligt ist, das beim Kunstfest Weimar 2021 uraufgeführt wird. Am Renaissance Theater war sie 2020 als Fräulein Julie in der Regie von Torsten Fischer zu sehen. Judith Rosmair arbeitet international und lebt in Berlin.
Theresia Walser
Die 1967 in Friedrichshafen geborene jüngste Tochter des bekannten Schriftstellers Martin Walser gehörte nach ihrer Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Theater Bern zwei Jahre lang zum Ensemble am Jungen Theater Göttingen. 1997 wurden ihre ersten beiden Stücke uraufgeführt: „Das Restpaar“ in Stuttgart und „Kleine Zweifel“ an den Münchner Kammerspielen. Über Nacht berühmt wurde Theresia Walser dann 1998 nach der Uraufführung ihres Stücks „King Kongs Töchter“ am Zürcher Theater am Neumarkt. 1998 wählte sie die Kritikerauswahl der Zeitschrift Theaterheute zur besten Nachwuchsautorin, 1999 sogar zur Autorin des Jahres. Weitere Preise und Auszeichnungen folgten, u. a. 1998 die Fördergabe des Schiller-Gedächtnispreises des Landes Baden-Württemberg, 1999 der Übersetzungspreis des Goethe-Instituts und 1999 sowie 2001 jeweils der Stücke-Förderpreis des Goethe-Instituts. 2006 erhielt sie ein Stipendium der BHF-Bank-Stiftung für die Frankfurter Positionen. Ein guter Gradmesser dafür, ob man es als Dramatiker*in geschafft hat, ist sicher die Einladung zu den jährlich stattfindenden Mülheimer Theatertagen. Hier sucht eine Jury aus Theaterfachleuten aus den neuen Stücken der Saison die sieben besten aus. Bislang vier Mal hatte Theresia Walser schon die Ehre, für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert zu sein: 1999 für „King Kongs Töchter“, 2001 für „So wild ist es in unseren Wäldern schon lange nicht mehr“, 2005 für „Die Kriegsberichterstatterin“ und 2008 für „Morgen in Katar“. Vor „Endlose Aussicht“ (UA 2020 im Rahmen des Kunstfests Weimar) wurden zuletzt Theresia Walsers Stücke „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ (UA 2018 am Nationaltheater Mannheim) und „Die Empörten“ (UA 2019, Salzburger Festspiele in Koproduktion mit Staatstheater Stutttgart) unter der Regie von Burkhard C. Kosminski uraufgeführt. Im Programm der Konzertdirektion Landgraf lief die EURO-STUDIO-Produktion ihres Stücks „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ 2014-2017 u. a. mit Doris Kunstmann, Saskia Valencia und Reinhild Solf (Regie: Hans Hollmann) erfolgreich auf Tournee.
Theresia Walser lebt bei Freiburg im Breisgau.
Theo Eshetu Dokumentarfilmer, Video- und Installations-Künstler
Theo Eshetu wurde in London geboren und wuchs in Addis Abeba, Dakar und Belgrad auf. In London ausgebildet, porträtierte er zunächst Rockstars, bevor er sich auf die Videokunst konzentrierte. In den neunziger Jahren versuchte er, Videokunst und Techniken des Dokumentarfilmens zusammenzuführen. „Mass Memory“ (1995), eine Arbeit über Federico Fellinis Tod, „Body and Soul“ (2004) und „Africanized“ (2002) wurden bei den Filmfestspielen von Venedig präsentiert. „Ein außergewöhnliches Ereignis“ (2006) widmet sich der Rolle von Bildern im Glauben und in den Massenmedien. Seine Arbeiten wie „Veiled Woman on a Beachfront“ (2011) und „The Festival of Sacrifice“ (2012) konzentrieren sich auf die islamische Kunst und die sozialpolitischen Implikationen eines Dialogs mit dem Islam in der zeitgenössischen Kunstpraxis. „Die Rückkehr des Axum-Obelisken“ (2009), eine 15 Bildschirm-Videoinstallation, die erstmals im Palais des Beaux-Arts de Bruxelles (BOZAR) vorgestellt wurde, dokumentiert die Rückführung dieser monumentalen Kriegstrophäe von Rom nach Äthiopien. Eshetu war 2012 Artist in Residence im Rahmen des DAAD-Programms in Berlin. Seine Arbeiten werden in führenden Museen für zeitgenössische Kunst in den USA und Europa und auf internationalen Filmfestivals ausgestellt. In Deutschland war er zuletzt im Berliner Martin Gropius Bau vertreten. Über seine Videobeiträge für „Endlose Aussicht“ schrieb Thomas Irmer in Theater der Zeit (10/2020): »Theo Eshetu – für die Auseinandersetzung mit der zweifelhaften Buntheit postkolonialer Welten in internationalen Ausstellungen bis zur documenta bekannt – hat in flirrenden Farben in tiefer See wallende Mollusken gefilmt, die fast so künstlich aussehen wie aus einem Prospekt für Kreuzfahrten in der Karibik. Die Bilder stehen langsam und lange für den im Zuge des Jona-Furiosos keimenden Gedanken, dass solche Wesen nicht nur schön anzusehen sind, sondern auch seltsam allein leben in ihrer vor uns verschlossenen Welt, tief unter den Bäuchen der Kreuzfahrtschiffe. Das fließt wunderbar mit ein in die Walser’schen Lebenskatastrophenbetrachtungen.«